Die Stadt im Dorf
Frederik Fischer ist überzeugt: Die Zukunft liegt auf dem Land. Er ist Initiator des „Summer of Pioneers“, einem Netzwerk, das Probewohnen im ländlichen Raum ermöglicht, berät Kommunen dabei, wie sie gestressten Städtern das Leben im Grünen attraktiv machen können, und plant sogenannte KoDörfer.
Text: Katharina Rudolph
Frederik, du bist angetreten, um das Landleben neu zu erfinden. Warum?
Es läuft in beiden Lebenswelten nicht gut: Die Wohnungsnot in Großstädten ist enorm, in ländlichen Gebieten haben wir zwar Platz, aber zu wenig Kultur oder gastronomische Angebote. Viele interessieren sich fürs Landleben, fürchten aber soziale Isolation. Die Leute plagt die Vorstellung, irgendwo in eine neu gebaute Einfamilienhaussiedlung zu ziehen – und sich nach 20 Jahren immer noch fremd zu fühlen. Wir müssen Strukturen schaffen, damit die Städter den Absprung wagen.
Und eine solche Struktur ist das KoDorf?
KoDörfer sind Orte, die beides vereinen: die Ruhe der Natur mit Angeboten, die es für ein modernes Leben braucht. Und wir wollen, dass man dauerhaft auf weniger Raum wohnen kann, ohne verzichten zu müssen. Beim KoDorf Wiesenburg, das kurz vor Baubeginn steht, wird es 40 kleinere Häuser und viele Gemeinschaftsflächen geben: Co-Working-Spaces, eine Küche mit langer Tafel, Werkstätten, vielleicht eine Kita. Alles, was man nicht täglich braucht, gliedern wir in die Gemeinschaft aus. Das KoDorf ist zudem autofrei, der Bahnhof liegt gegenüber. Getragen wird das Ganze nicht von Investoren, sondern von einer am Gemeinwohl orientierten Genossenschaft.
Das KoDorf soll ein Gegenmodell zur ländlichen Fertighaussiedlung sein. Was machen diese Siedlungen falsch?
Menschen wollen sich entfalten, brauchen Privatsphäre und fahren Autos, also geben die Fertighausanbieter ihnen große Häuser, hohe Hecken und Parkplätze. Was aber ist mit der Siedlung in sozialer wie ökologischer Hinsicht? Es müssen mehr Leute profitieren als einzelne Bewohner*innen. Das ist nicht der Fall, wenn jeder auf 40 Quadratmetern pro Kopf lebt, zwei Parkplätze vor der Tür hat und sich mit Hecken abschirmt.
Ist der KoDorf-Neubau angesichts der Klimakrise zeitgemäß? Warum nicht alte, leer stehende Gebäude nutzen?
Mir widerstrebt ein Neubau total. In Wiesenburg werden wir zumindest ein altes Sägewerk umnutzen, wo gemeinschaftliches Leben stattfindet; und viel aus Holz bauen. Wenn man aber ohne Investoren plant – und das tun wir bewusst –, muss man den Aufwand reduzieren. Beim großflächigen Umbau von Altbauten bräuchten wir viele Gutachten und individuelle Gebäudepläne. In Wiesenburg stehen drei Haustypen zur Wahl. Die Standardisierung, die im Neubau besser machbar ist, minimiert Kosten. Aber sobald wir können, wollen wir Bestandsbauten stärker nutzen. Das ist viel nachhaltiger, da gibt es gar kein Herumreden.
Wie reagieren die Einheimischen auf die zuziehenden KoDörfler?
Das richtige Zusammenleben können wir erst testen, wenn das KoDorf gebaut ist. Ein Hinweis, den wir in puncto Integration oft bekommen: Geht doch zur freiwilligen Feuerwehr! Aber davon fühlt sich nicht jede*r abgeholt. Beim „Summer of Pioneers“, den wir seit 2019 veranstalten und bei dem es um ein halbjährliches Probewohnen auf dem Land geht, entstehen immer wieder Projekte, an denen Neuankömmlinge und Alteingesessene zusammenarbeiten. In Wittenberge etwa am Stadtsalon „Safari“, ein früher leer stehender Laden, der renoviert wurde und jetzt als Kultur- und Begegnungsort, als Wohnzimmer für alle dient. So lernt man sich kennen und baut Vorurteile ab – ich bin also zuversichtlich.
Frederik Fischer
Frederik Fischer ist Gründer und Geschäftsführer von Neulandia. Mit der KoDorf-Initiative und dem „Summer of Pioneers“ erprobt Neulandia gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung im ländlichen Raum. Fischer hat Medienwissenschaft und Volkswirtschaft studiert, unter anderem
in Aarhus, Amsterdam und London, er gründete mehrere Medien-Start-ups. Heute wohnt er in der Gartenstadt Falkenberg in Berlin.
Bilder: agmm - architekten + stadtplaner
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