Wir sollten bewusster mit den Dingen umgehen
Matratzen zerbröseln, Computergehäuse vergilben, Beschichtungen werden klebrig: Kunststoffe mögen als haltbar gelten, aber sie altern wie jedes andere Material auch. Der Restaurator des Münchner Designmuseums Die Neue Sammlung Tim Bechthold erklärt, wie Kunststoffe sich zersetzen und welches Möbelstück sein größtes Sorgenkind ist.
Text: Jasmin Jouhar
Wie kam es dazu, dass Sie sich auf Kunststoffe spezialisierten – das war ja eher ungewöhnlich?
Ich bin schon immer gerne auf den Flohmarkt gegangen, bei Möbeln haben mich die 60er- und 70er-Jahre besonders begeistert. Damals ist sehr viel mit Kunststoffen experimentiert worden. Im Studium ergab sich dann die Möglichkeit, mich darauf zu konzentrieren.
Kunststoffe gelten als stabil und pflegeleicht. Warum altern sie dennoch?
Man kann nicht von den Kunststoffen allgemein sprechen. Es gibt Kunststoffe, die stabiler sind als Holz, wenn sie der Witterung ausgesetzt sind. Es gibt aber auch Kunststoffe, die zerfallen fast schon beim Zuschauen. Zuvorderst sind es äußere Einflüsse wie Licht oder Sauerstoff, die Kunststoffe altern lassen. Die Polymerketten, aus denen alle Kunststoffe bestehen, werden dabei chemisch umgebaut. Dies kann mitunter auch zu den bekannten Verfärbungen führen, wenn zum Beispiel die weißen Gehäuse von Computern gelblich-braun werden.
Tim Brechthold
Tim Bechthold leitet seit 2002 die Restaurierungsabteilung des Münchner Designmuseums Die Neue Sammlung und hat sich auf Kunststoffe spezialisiert. Nach Ausbildungen zum Schreiner und zum Möbelrestaurator studierte er Restaurierung und Konservierungswissenschaft an der Technischen Universität München und diplomierte über Polyurethan im Möbeldesign der 1960er-Jahre.
Gibt es andere Beispiele für Alterungsprozesse, die jede*r kennt?
Zum Beispiel diese dünnen, gummiartigen Beschichtungen auf Rasierapparaten, auf Handys und auf Haushaltsgeräten. Die fühlen sich zunächst sehr griffig an. Sie werden aber binnen relativ kurzer Zeit klebrig. Oder nehmen wir Weichschäume, aus denen beispielsweise Matratzen bestehen. Wenn solche Schäume nicht durch ein Textil oder eine Beschichtung geschützt sind, werden sie sehr schnell braun und dann brüchig. Verallgemeinernd könnte man sagen: Kunststoffe, die sehr dünn sind, Kunststoffe, die sehr große Oberflächen haben, sind prädestiniert für Alterungsprozesse. Dann können etwa Licht und Sauerstoff das Kunststoffpolymer gut und umfassend angreifen und entsprechend schädigen. Es gibt aber große Qualitätsunterschiede, beispielsweise bei weichgemachtem PVC. Wenn Sie hier zu teureren Folien greifen, können sie davon ausgehen, dass sie länger halten. Ein weiterer Aspekt ist, welche Lebensdauer für ein Produkt avisiert ist. Wenn, wie bei Handys, nur eine Marktpräsenz von ein bis zwei Jahren vorgesehen ist, dann werden die Hersteller kaum hochwertige Kunststoffe verwenden. Im Vergleich dazu kann man bei der seriellen Produktion hochwertiger Möbel aus Kunststoff auch eine deutlich höhere Lebensdauer erwarten. Entsprechende Produkte sind meist ausgiebig getestet und die Kunststoffe durch Additive wie beispielsweise UV-Absorber zusätzlich stabilisiert.
Wie viele Objekte aus Kunststoff haben Sie in der Sammlung des Museums?
Insgesamt haben wir geschätzte 120.000 Objekte in der Sammlung. Aber wie viel davon aus Kunststoff sind, wissen wir nicht, dazu erheben wir keine Zahlen. Viele Objekte des 20. Jahrhunderts enthalten auf jeden Fall irgendein Teil aus Kunststoff.
Welches ist das größte Sorgenkind in der Sammlung, dessen Verfall Sie nicht aufhalten können?
Zu den größten Sorgenkindern gehört der „Tube Chair“ von Joe Colombo. Die Sitzröhren sind mit Polyurethanschaum gepolstert, der mit einer dünnen „Wet-Look“-Beschichtung überzogen ist. Das Material blüht stark aus, genauer gesagt, infolge der chemischen Abbauprozesse kristallisieren Salze aus, das Material versprödet. Die Kristallisationsprodukte können wir zwar entfernen, aber gegen den Prozess des Ausblühens haben wir keine Handhabe. Die Oberfläche ist so fragil, da können wir keinen schützenden Überzug aufbringen.
Und ein Beispiel für ein Stück, das Sie retten konnten?
Zum Beispiel eine Fiberglas-Liege von Luigi Colani. Sie kam mit großen Schäden zu uns in die Sammlung. Wir haben sie trotzdem angekauft, weil sie aus einer Kleinserie stammt und nur wenige davon erhalten sind. Die drastischen Schäden hatten die Vorbesitzer verursacht, als sie versuchten, mit unsachgemäßen Mitteln die Oberfläche zu reinigen. Sie war stark verätzt und in Teilen schnittartig aufgebrochen. Wir haben eine Trennschicht aufgebracht und dann mit Airbrush-Technik retuschiert. Es ging darum, die richtige Balance zu finden zwischen akzeptierten Alterungsspuren, die bei einem Möbel von 1968 dazugehören, und der Reduzierung des Schadensbilds.
Mit Ihrer Expertise: Würden Sie sagen, wir sollen weniger Kunststoff konsumieren – wenn wir an Mikroplastik denken, das ja bei Zersetzungsprozessen entsteht?
Das würde ich unterschreiben, aber nur mit Blick auf Produkte aus Billigkunststoff. Anders, sogar nachhaltiger kann es bei einem hochwertigen Kunststoffstuhl sein, der länger hält und dank seines guten Designs sogar weitervererbt wird. Und dann gibt es die Materialien, bei denen man gar nicht an Kunststoff denkt, wie Spanplatten, die in der Regel Kunstharze als Bindemittel enthalten. Ein großes Problem bei der Entsorgung. Ich denke, wir sollten einfach bewusster mit den Dingen umgehen. Meine Mutter verwendete Geschirr und Geräte aus Kunststoff über Jahrzehnte. Wir denken heute anders. Wenn etwas fleckig wird, kaufen wir uns schnell etwas Neues. Da kann ich mich nicht davon ausnehmen.
Bilder: © Die Neue Sammlung – The Design Museum, Foto: Tim Bechthold; © Die Neue Sammlung – The Design Museum, https://www.youtube.com/watch?v=gYXUVkpy5Cc
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