Auf Umwegen zur Ortskenntnis
Als im Jahr 2011 Kuno Nüsslis Container DS seinen Einzug ins MAGAZIN-Programm fand, hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass aus dem Produkt einmal einer der Bestseller des Sortiments wird. Und die Erfolgsgeschichte geht weiter – mit dem AIR, einer Variante aus Lochblech. Wir haben den Universalkreativen Kuno Nüssli und seinen Container in Basel besucht.
Text: Jochen Overbeck
Kleinbasel gäbe ein gutes Motiv für ein Wimmelbuch des vor kurzem verstorbenen Ali Mitgutsch ab. Der Basler Stadtteil auf der Ostseite des Rheins ist lebendig im besten Sinne. An der alten Kaserne bietet ein Maler seine Bilder feil, bunt sind sie und naiv. Vorm Café Frühling sitzen die Young Urban Professionals und widmen sich ausführlich Flat White und Brombeerwähe. An der Klybeckstraße ruft eine Mutter ihr Kind zur Ordnung, das mit dem Tretrad nicht an der Kreuzung Halt macht. Und wenn man einmal links abbiegt und dann noch einmal und durch die Einfahrt, in der ein alter Lieferwagen steht, den Innenhof des Hauses an der Breisacherstraße 64 betritt, steht man in der Werkstattgemeinschaft, in der seit 1997 auch Kuno Nüssli wirkt. Was Mitgutsch von den Requisiten des Schweizer Designers malen würde? Vielleicht ein paar der Sperrholz-Teile, aus denen er seine Boote baut. Vielleicht auch die alte Metalltonne im Werkstattkeller; manchmal benutzt Nüssli sie, um seine Farbpistole zu testen; sie sieht ein wenig aus, als hätten Jackson Pollock und Rupprecht Geiger gemeinsame Sache gemacht. Womöglich auch das Radio, das Nüssli selbst bei zweifelhafter Musik auf maximale Lautstärke stellt oder einen der Arbeitstische im lichten Atelier-trifft-Büroraum im Obergeschoss, deren kreatives Chaos vom Farbfächer bis zum Leitz-Ordner reicht und die unprätentiös davon berichten, dass hier geschafft wird.
Der Container DS
Eines wäre in dem Wimmelbuch sicher zu sehen: Der Container DS, der in Nüsslis Reich in ganz verschiedenen Farben und Formen steht – von der als FLAT erhältlichen „halben Portion“, die einem Ensemble aus mehreren Exemplaren ungeahnte Dynamik verleiht, bis zum Klassiker, der mal in dezentem Weiß, mal im leuchtenden Schwefelgelb und mal im knalligen Telemagenta das tut, was er am besten kann: Raum schaffen für alles, was Raum benötigt. Diese Aufgabe erledigte der den klassischen Seefahrt-Containern nachempfundene DS erstmals 2008 für das Basler Kunstarchiv „dock:“. Im selben Jahr stellte Nüssli ihn auf der Designmesse „Blickfang“ aus. MAGAZIN war sofort begeistert und beschloss, den Container ins Programm aufzunehmen. Nach zwei Jahren Entwicklungsarbeit war es so weit. Heute ist der DS, der übrigens in der Manufaktur von Oskar Zieta hergestellt wird, ebenfalls ein Magazin-Designer, ein Klassiker im Programm.
DER CONTAINER DS AIR
Diese seit 2009 andauernde Zusammenarbeit erfährt nun eine Erweiterung: AIR heißt der neuste Spross der DS-Familie. Und natürlich steht auch AIR hier in Nüsslis Atelier. Wenn man ihn so umschleicht, sich ein bisschen bückt, um das Licht zu bewundern, das erst durch die großen Werkstattfenster in den Raum und dann durch die kleinen Blechlöcher in das Innere des Containers fällt, wird rasch klar: Nüssli und das MAGAZIN-Team haben hier einen Produktremix vorgenommen, der durchaus in die DNA des Möbels eingreift. Das „Klappe zu, alles gut“-Prinzip wurde ersetzt – ja, durch was eigentlich? Offenheit? Nein, was auch immer die geneigten Benutzer*innen im Container verstauen, es ist nicht ohne Weiteres erkennbar. Eher ist es der Reiz der Ahnung, mit dem AIR spielt. Wer die Idee hatte? „Ich glaube, das war Oskar. Oder waren wir das alle in einem gemeinsamen Gespräch? Ich kann es gar nicht mehr genau sagen!“, erzählt Nüssli.
Es ist auch nicht von allzu großer Bedeutung, denn der AIR wirkt trotz des Eingriffes wie eine zwingende Ableitung des Klassikers und macht gleichzeitig alle möglichen Referenzfelder auf. Die Arbeiten des französischen Designers Mathieu Matégot kommen einem in den Sinn, der ab den 1950er-Jahren das Material Lochblech für Sessel, Barwagen, sogar Teller verwendete, und die Wandregale des Niederländers Tjerk Reijenga für Pilastro. Vielleicht aber auch: Serverschränke, die Luftzirkulation ermöglichen. Kuno Nüssli lächelt, wenn man ihm von diesen Assoziationen erzählt, denn seine sind andere. An Leuchten und deren Blenden musste er zum Beispiel denken, arbeitete er doch früher einmal für den Leuchtenhersteller Baltensweiler AG.
„Ich finde das Lochblech einfach ein schönes Material“, sagt er. „Und ich glaube, für den Container funktioniert es extrem gut. Als Solitär, aber auch in der Kombination mit dem normalen Container.“ Er erzählt von möglichen Verwendungszwecken, etwa einer Hausbar (den zweiten Boden mit integrierter Beleuchtung, den Nüssli sich für diesen Zweck wünschte, lehnte Magazin leider ab). Dann zeigt der Designer jenen optischen Effekt, den man erlebt, wenn man den Container lange genug im Gegenlicht und aus einer kurzen Distanz betrachtet: „Wenn man durch das vordere Lochblech das hintere sieht, ergibt sich ein regelmäßiges drittes Muster. Moiré nennt man diesen Effekt, man kennt das eigentlich eher aus der Textilwelt, wenn sich zum Beispiel verschiedene Lagen eines Vorhangstoffes übereinanderlegen. Es ist eine optische Interferenz.“
Ein Leben, das in Kurven verläuft
Kuno Nüssli ist – nun, vielleicht ein Träumer. Aber, wenn er da von diesem vordergründig so simplen Container erzählt, wird rasch deutlich, wie viel in diesem Mann steckt. Er machte Ende der 1980er-Jahren eine Lehre als Möbelschreiner, um bald darauf die Materialien zu wechseln, weg vom Holz, hin vor allem zum Metall. Er bildete sich ab 1993 weiter, studierte Innenarchitektur und Baugestaltung, was darin mündete, dass er drei Jahre lang für Gestaltung und Ausführung der Altglas-Sammelstellen der Stadt Basel verantwortlich war, 40 davon baute er auf. Er assistierte der Bildenden Künstlerin Pipilotti Rist und war später Grafikdesign-Praktikant bei MetaDesign – „Aber erst, als Erik Spiekermann da schon raus war“, sagt er und lacht, ist Genannter doch auch ein guter Freund des Hauses Magazin. Anschließend arbeitete er als Grafikdesigner, bevor er sich unter dem Namen kunotechnik doch wieder dem Möbel zuwendete.
Es ist also eine Karriere, die aus Umwegen besteht, aber das ist schon in Ordnung, denn Umwege erhöhen die Ortskenntnis. Auch heute ist Nüsslis Leben eines, das in Kurven verläuft. Für Privatkund*innen hat er ein paar Möbelstücke im Programm, die aus buntem Vierkantstahl bestehen; am bekanntesten vielleicht das Bett Anana. Fürs eigene Pläsier baut und restauriert er seit vielen Jahren seine Boote. Auch den Nachwuchs nahm er unter seine Fittiche – er unterrichtete im Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Basel; 16-, 17-Jährige waren es, die sich bei ihm mit gar nicht so einfachen Fragen wie „Was ist ein Konzept?“ auseinandersetzen mussten. An zwei Tagen der Woche stand er hier in der Werkstatt. Manchmal klingelte es dann, denn Magazin hat in der Schweiz keine Ladengeschäfte. „Das hier ist mein Showroom. Die Leute kommen hier vorbei, kriegen einen Kaffee und können den Container anschauen und anfassen.“
Das ergibt Sinn, denn der Container zeigt seine Vorzüge vor allem, wenn er in Benutzung ist. Mal nimmt er sich zurück, ist stilles Arbeits- und Aufbewahrungstier. Mal glänzt er, wird zum Statement-Piece. Notiz am Rande: Am Abend wird das noch viel deutlicher. Der Autor ist bei Nüssli zum Abendessen eingeladen. Er kocht zum ersten Mal in diesem Jahr seine traditionelle Sommerpasta mit Tomate, Basilikum und Mozzarella sowie Schweizer Bier, ein Blick in die Wohnung auf der anderen Seite des Rheins zeigt: Nüssli lebt mit und aus seinen Möbeln, der Container findet sich in allen Varianten – auch in den Zimmern der Kinder. Ob sie zufrieden mit den Möbeln des Vaters sind? „Geht schon“, sagt der Sohn. Nüssli denkt den Container in seinem Kopf ständig weiter. Überlegt zu neuen Farben, Oberflächen und Materialien und träumt schöne Träume: „Manchmal stelle ich mir einen kleinen Kran vor“, erzählt er. „Eine Miniaturversion von denen, die man im Frachthafen hat. Der könnte die einzelnen Container dann umsetzen.“ Ob das einen Zweck erfüllen würde? Nun, man müsste es ausprobieren, auszuschließen ist es nicht. Auf jeden Fall ließe er sich vortrefflich in ein Wimmelbuch malen.
Bilder: Lena Giovanazzi
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