Ishinomaki Lab

Gestaltet in Japan, gefertigt in Deutschland

Möbel selbst bauen und so die Welt ein bisschen besser machen, darum ging es schon den Designern und Denkern Enzo Mari und Victor Papanek. Der japanische Architekt Keiji Ashizawa hat die Idee noch etwas weiter gedacht: Als ein Erdbeben vor elf Jahren Teile Japans zerstörte, half er Bewohner*innen, ihre Städte mit selbstgemachten Möbeln wieder aufzubauen. Mittlerweile werden die Entwürfe des „Ishinomaki Lab“ auch in Deutschland gefertigt – aus heimischen Hölzern in Handarbeit.

Text: Florian Siebeck

Wenige Tage nachdem ein Erdbeben der Stärke 9,1 eine Flutwelle auslöste, die den Nordosten Japans verwüsten sollte, reiste der in Tokio ansässige Architekt Keiji Ashizawa in die Küstenstadt Ishinomaki. Er wollte dort die Schäden an einem Restaurant begutachten, das er ein Jahr zuvor für einen Kunden entworfen hatte. „Es fehlte an allem“, sagt Ashizawa. „Manche Leute hatten nur noch Tatami-Matten als Türen.“ Weil Zimmerleute rar waren, halfen viele Leute sich selbst. Als Ashizawa einen Ladenbesitzer traf, der gerade sein Lokal reparierte, kam er auf eine Idee. Er stattete einen leeren Laden mit einigen Werkzeugen aus und besorgte große Bohlen aus sogenannter Western Red Cedar, einer leichten, aber robusten Holzart. „Ich erkannte, dass die Menschen Dinge selbst herstellen, reparieren und modifizieren mussten, um ihre Stadt wieder aufzubauen.“ Mit ihren eigenen Händen etwas zu schaffen, würde ihnen gleichzeitig helfen, das Trauma zu verarbeiten, das sie gerade durchlebten.

Es dauerte nicht lange, da kamen die ersten Leute ins „Ishinomaki Lab“, um zu lernen, wie man Möbel baut. Ashizawa entwickelte elegante, praktische Entwürfe, die mit einfachen Werkzeugen und wenig Erfahrung aus Standard-Holzstücken hergestellt werden konnten. Hocker und Bänke zum Beispiel, die schnell in Gemeinschaftsräume integriert werden konnten. Unterstützt wurde die Initiative vom amerikanischen Möbelhersteller Herman Miller. Mit der Zeit brachten sich immer mehr etablierte Architekt*innen und Designer*innen ein, die ihre Entwürfe an die vorhandenen Materialien, Werkzeugen und Produktionsverfahren anpassten – und gleichzeitig darauf achteten, bei der Produktion möglichst wenig Abfall zu hinterlassen. Regale, Stühle, Tische, Turnbänke oder Vogeltränken, bei denen Robustheit und Stabilität im Vordergrund standen.

Zehn Jahre später ist aus dem Selbsthilfeprojekt eine angesehene Möbelmarke geworden. Die Produkte sind zwar nicht mehr ganz so roh wie in den Anfangstagen, der grundlegenden Designphilosophie und Materialsprache sind sie treu geblieben: die Entwürfe sind zweckmäßig, aber durchdacht. Einfach, aber charmant. Low-Tech statt High-Tech. Die Stücke passen in Privatwohnungen genauso gut wie in öffentliche Räume. Bis heute werden die Entwürfe in Ishinomaki produziert. Aber nicht nur dort: Mithilfe der Initiative „Made in Local“ teilt das „Ishinomaki Lab“ sein Know-how mit Partnern in aller Welt. Eine Bewegung, die das lokale Handwerk fördert. So wird der AA Stool, entworfen von Torafu Architects, in Deutschland etwa von HLZFR gefertigt (siehe Kasten). Mit seinen freiliegenden Schrauben, dem naturbelassenen Holz und dem handgefertigten Look zeigt der Hocker, der nach der Form seines Profils benannt wurde, wie formschön Einfachheit sein kann.

Auch der Geist des Selbermachens – „Monozukuri“ auf Japanisch – wird vom „Ishinomaki Lab“ in alle Welt exportiert. Neben regelmäßigen DIY-Workshops für Holzbearbeitung und Möbelbau in Ishinomaki und Tokio gab es ähnliche Projekte in Manila, Singapur, Berlin, London, Guadalajara, Busan, Kopenhagen und Detroit. „Die Menschen haben in den Workshops nicht nur Dinge hergestellt“, sagt Ashizawa. „Sondern auch gelernt, dass Design Probleme lösen kann.“ So zeigt das „Ishinomaki Lab“ nicht nur, welch tiefgreifenden Einfluss das Handwerk auf unser Leben haben kann – sondern auch, wie Design umwelt- und gemeinschaftsfreundlich neu gedacht werden kann.

DER AA STOOL
Für Deutschland und Österreich werden die Ishinomaki Lab-Möbel exklusiv von HLZFR (sprich: Holzfreunde) in Berlin hergestellt, zudem verkauft HLZFR sie in andere EU-Länder und die Schweiz, so auch den AA Stool von Torafu Architects. Die Konstruktion des Hockers ist dieselbe wie in Japan (verschraubtes Massivholz), aber verarbeitet wird Holz aus bayerischen Wäldern: „Auch wenn sie etwas schwerer und robuster ist, kommt Douglasie am nächsten an das Original heran“, sagt HLZFR-Gründer Torben Schomaker. Das Holz wird mit einem Finish aus Seife behandelt und entwickelt mit der Zeit eine schöne Patina. „Der AA Stool strahlt eine gewisse Rohheit und Grobheit aus, ist zugleich aber sehr flexibel. Gerade das macht ihn für mich so interessant.“ Denn der AA Stool ist auch für den Gebrauch im Freien geeignet und kann zeitweise den Elementen ausgesetzt werden. Der nahezu unzerstörbare Hocker kommt in verschiedenen Größen und wird normalerweise als Paar verwendet, als Hocker oder Beistelltisch. Mit einer Platte kann der AA Stool auch zum Tisch umgewandelt werden.

Über HLZFR
Die HLZFR. GmbH wurde 2007 in Berlin als „Gesellschaft der Holzfreunde“ von Torben Schomaker und Jan Stauf gegründet. Das Unternehmen beschäftigt Architekt*innen, Ingenieur*innen, Tischler*innen und Zimmernde, die nicht nur im Bereich Hochbau tätig sind (also zum Beispiel Häuser bauen), sondern auch maßgefertigte Einbauten (Werkserie Berliner Kueche) produzieren oder Möbel herstellen – Hauptsache Holz.

Bilder: @ishinomakilab auf Instagram; HLZFR. GmbH

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