Immer im richtigen Licht

Stäbchen, Zäpfchen, Linse, Netzhaut – lange Zeit waren Biologen sich einig, dass das menschliche Sehen verstanden sei. Heute weiß man: Unser Auge leistet viel mehr als seine offensichtlichen Sehaufgaben. Denn das einfallende Licht steuert auch unseren Schlaf-Wach-Rhythmus, unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit. Was es mit Human Centric Lighting auf sich hat und wie man das Zuhause ins richtige Licht rückt, erfahren Sie in unserem Licht-Ratgeber.

Text: Katrin Bücker-Pfeifer

Dass man abends am besten den Blaufilter des Mobilgerätes einschaltet, weil blaues Licht dem Müdewerden entgegenwirkt, hat die Runde gemacht. Doch woran das liegt, weiß die Wissenschaft erst seit wenigen Jahren. Forschenden kamen bei der Untersuchung des menschlichen Auges sogenannte Ganglienzellen unter die Linse, die bis dato unbekannt waren: Licht­empfindliche Rezeptoren, die mit dem visuellen Sehen nichts zu tun haben und dennoch Körperfunktionen steuern und dem Menschen Orientierung geben. Je nach Lichtqualität nämlich senden sie den Impuls an das Gehirn, den Körper zu aktivieren oder zu entspannen. Sie steuern den Biorhythmus des Körpers. Ihre Entdeckung war eine Nobelpreis-prämierte Sensation für die Wissenschaft und, wie sich herausstellen sollte, für die Lichtbranche gleichermaßen. Die Möglichkeiten der Lichtsteuerung bekamen eine neue, biologische Dimension. Gemeinsam mit der visuellen und emotionalen Lichtwirkung bildet sie die Grundpfeiler des Human Centric Lighting, eines Lichtplanungs-Prinzips, das den Menschen und seine Bedürfnisse in den Fokus rückt. Richtig angewendet hilft es Menschen dabei, konzentrierter zu arbeiten, besser zur Ruhe kommen und sich aktiver und wohler zu fühlen. Licht wirkt immer und überall, und zwar visuell, emotional und bio­logisch. Der Rhythmus des Tageslichts hat uns evolutionär geprägt, die moderne Lichtsteuerung kann diese Dynamik nutzen.

Spricht man mit Lichtplaner*innen und Architekt*innen über das Thema, eröffnet sich ein schier endloses und komplexes Betätigungsfeld – vom privaten Wohnraum, der die Dynamik des Tageslichts imitiert, bis hin zum Bürogebäudekomplex, der die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden unterstützen soll. Klingt kompliziert – aber auch ohne professionelle Lichtplanung kann man im eigenen Umfeld einiges richtig machen, etwa bei der Wahl der Leuchte und des Leuchtmittels. Ein kleiner Ratgeber für die ersten Schritte.

Raumlicht und Lichträume – ein Raum braucht beides

Eine übergeordnete Lichtquelle, die den Raum im Ganzen erhellt und Lichtinseln, die einzelnen Bereichen im Raum Stimmung und Funktion geben. Die Sofaecke mit dimmbarer Stehleuchte und Leselicht, der Schreibplatz mit Arbeitsleuchte, die mit Spots ausgeleuchteten Kunstwerke an der Wand oder der Esstisch samt Pendelleuchte. Diese Lichträume geben Orientierung und stimmen uns auf die jeweilige Situation emotional ein.

Diffus oder gerichtet? Auf die Sehaufgabe kommt es an

Wie wir einen Gegenstand wahrnehmen, hängt maßgeblich von der Art des Lichtes ab, in dem wir ihn sehen. Diffuses Licht eignet sich als Allgemeinbeleuchtung – es macht Konturen und Kontraste weich und angenehm. Gerichtetes Licht stellt Details, Materialien und Konturen viel klarer, differenzierter und hochwertiger dar. Es liefert dem Auge detaillierte Informationen.

Lichttemperatur – die richtige Stimmung schaffen

Warmes Licht mit höherem Rot-Anteil liegt im Bereich von 2 700 Kelvin und wirkt wohnlich, entspannend und beruhigend. Kühles Licht mit einem höheren Blauanteil ab 3 000 Kelvin aktiviert und macht wach. Klar: An Arbeitsplätzen sollten eher kühlere Lichtquellen zur Verfügung stehen, die Sofaecke braucht Wärme und Wohnlichkeit. Für Bereiche, die unterschiedlich genutzt werden, eignen sich Leuchten mit einer neuen Technologie: Sie sind dimmbar, von kühl und hell nach wärmer und dunkler. Die Lichtfarbe hat den unmittelbarsten Einfluss auf unseren Biorhythmus.

Lichtstrom – die Lichtmenge richtig dosieren

Der Lichtstrom wird in Lumen gemessen und beschreibt, wie viel für das menschliche Auge wahrnehmbare Licht eine Lichtquelle pro Zeiteinheit abgibt. Diese Menge ist wesentlich für die Frage, wie und wo eine Leuchte eingesetzt werden kann. Geht es eher um dekoratives Licht, ist ein niedrigerer Lichtstrom völlig ausreichend. Soll eine Leuchte aber bei Sehauf­gaben unterstützen – beim Lesen, Arbeiten oder Gemüse schnippeln – dann ist ein hoher Lichtstrom von Vorteil. Wir können die Erkenntnisse der Forschung rund um die Ganglienzellen privat nutzen, um den eigenen Biorhythmus zu unterstützen. Wichtig dabei ist es, vor dem Kauf einer Leuchte zu fragen: Wo wird sie stehen? Was genau passiert dort? Und wofür brauche ich das Licht? Sind diese Fragen beantwortet, findet sich auch die passende Lichtlösung.

Illustartionen: Clo'e Floirat

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