Dinge ohne Ego
In einer hochspezialisierten Konsumgesellschaft gibt es für jede Anforderung das passende Produkt. Wer genau hinschaut, findet aber auch Universalisten, die durch Form, Material und Ästhetik zur Zweckentfremdung einladen. Seit 1971 ist MAGAZIN als Designfeldforscher diesen Multitalenten auf der Spur – weltweit und abseits ausgetretener Pfade.
Text:Tanja Pabelick
Mitte der 2000er-Jahre wurden streng funktionale Produkte aus dunklen Schubladen und spezialisierten Einsatzgebieten geholt und ins Rampenlicht gestellt. Ab sofort galten sie nicht mehr als banal, sondern als „supernormal“. Unter diesem Titel veröffentlichten die Gestalter Jasper Morrison und Naoto Fukusawa 2006 ein Buch, in dem sie das vermeintlich Gewöhnliche und Praktische katalogisierten. Es war eine Hommage ans diskrete Design, an Büroklammern, Einkaufskörbe, BIG-Kugelschreiber und Haushaltsscheren. Anonyme Dinge, ohne Geburtsurkunde und Herkunftsnachweis, Dinge, die vermeintlich immer da waren und nicht buhlen, werben oder schreien. Aus ihrem Kontext genommen und vor einem weißen Hintergrund fotografiert, wirkten die vielen stillen Diener des Alltags plötzlich formschön und präzise, solide und langlebig, materialehrlich und funktionstransparent. Dabei blieben sie unverändert – nur der Blick der Betrachtenden hatte sich verschoben.
Dieser Perspektivwechsel steht für ein Gestaltungsverständnis, das MAGAZIN schon seit seiner Gründung 1971 vertritt, und für die Methode hinter dem Produktsortiment. Denn hier geht es darum, die praktische Bedeutung und die Qualität von Dingen zu erkennen. Und sie nicht danach zu bewerten, in welchem Umfeld sie präsentiert werden oder für welchen Zweck sie bestimmt sind. Eines dieser Pionierprodukte von MAGAZIN ist bis heute im Katalog, das klassische Industrie-Lagerregal aus Stahl. Es ist schlank, zugleich belastbar und transportiert eine wichtige Botschaft: In einer großen Lagerhalle und beladen mit Pappkartons ist es ein fleißiges Arbeitswerkzeug. Auf einem Perserteppich stehend und eine Bibliothek tragend, ist es ein eleganter Mitbewohner.
Es gibt Orte, an denen sich Dinge – zugeschnitten auf eine besondere Aufgabe oder einen kulturellen Kontext – in aller Stille bis zur Perfektion entwickeln. Ersteres trifft auf die Schere BLANK zu, die eigentlich in der Fischindustrie verwendet wird. Sie setzt sich aus zwei Schmiedeteilen zusammen, und der ergonomisch gebogene Rundstab des Griffs geht direkt in die flache Klinge über. Diese Herstellungsweise ist pragmatisch, weil sie materialrein ist, und sie führt zu einer wertigen und robusten Ästhetik. Damit ist BLANK ein gutes Werkzeug für viele Anwendungsbereiche und wird bei MAGAZIN zur Universalschere.
Ebenfalls aus dem Kosmos des Hafens adoptiert wurde die NETZBOX, die in Großbritannien auf Werften in Umkleiden steht. In ihrem Gitterkorpus können Werkzeuge und Arbeitskleidung aufbewahrt und gleichzeitig getrocknet werden. Wird sie hingegen ins Büro, in den Flur, ins Bad oder Wohnzimmer geholt, dann wirkt sie wie ein transluzenter Rahmen und bringt ihren Inhalt in die Schwebe. Die zarte Metallstruktur sorgt aus allen Perspektiven für Durchblick und macht den persönlichen Besitz vom Teller über Bücher bis zu dekorativen Sammelsurien zum sichtbaren Exponat.
Um diese Dinge unserer unendlich scheinenden Konsumwelt aufzuspüren, braucht es Instinkt, Zeit, Geduld, Glück – und die richtige Strategie. MAGAZIN zieht jede Eisenwarenmesse einer Möbelschau vor, besucht internationale Haushaltswarenläden, Werkstätten, Baumärkte und Gartencenter. Denn Objekte, die auf ihre elementaren Funktionen und Materialien reduziert sind, existieren oft an unprätentiösen Orten. Die stapelbaren und schlagfesten Weingläser Pile wurden für die Gastronomie gestaltet. Die Werkzeugkisten TOYO kommen aus Japan und sind für eine herausfordernde Existenz gemacht, in der sie mal Öl und Schmutz, mal einem Schlag ausgesetzt sind. Auch aus Metall sind die kleinen roten und silbernen Aluboxen, die ursprünglich für den Dentalbereich entwickelt wurden, aber so formschön und asketisch sind, dass sie auch der Aufgabe als Schatzkiste würdig sind. Hinter all diesen Objekten steht kein*e Autorendesigner*in und nicht notwendigerweise eine prestigeträchtige Marke, dafür überzeugen sie mit Werten wie Authentizität, Pragmatismus und Qualität.
Illustartionen: Clo'e Floirat
Bild: © Jasper Morrison Studio
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