Aufbruch in die Holzzeit

Holz ist das Material der Stunde, es verspricht klimafreundliches Wachstum ohne Reue. Doch wie wurde dieser Allerweltsstoff eigentlich in so kurzer Zeit zum ­ultimativen Hoffnungsträger? Und was hat das für Folgen, wenn eine langsam wachsende Ressource plötzlich derart nachgefragt wird? Eine Spurensuche zwischen Holz­hochhäusern, Raubbau im Wald und dem speziellen Charme deutscher Hobbykeller.

Text: Stephan Becker

In der Welt der Mode gehört es zum Alltag, dass Trends kommen und gehen. Aber in der Welt der Baustoffe und Materialien? Eher nicht. Klar, Plastik hatte schon mal einen besseren Ruf, und auch Beton tut sich derzeit etwas schwer. Aber das ändert nur wenig an ihrem tatsächlichen Verbrauch. Was zählt, sind schließlich ihre spezifischen Qualitäten. Nur mit Holz und seinen Derivaten scheint dies anders zu sein. War es jahrzehntelang vor allem als Material für einfache Konstruktionen, billige Möbel und gemütliche Stuben gefragt, ist es derzeit geradezu modern – mit einem steilen Anstieg der Nachfrage. Denn kein Material, man muss es so sagen, trifft aktuell besser Bedarf und Zeitgeist. Was ist geschehen?

VERLÄSSLICHES ARBEITSTIER

Bis vor wenigen Jahren gehörte Holz zu den eher unaufgeregten Materialien. In Verwendung vermutlich seit Beginn der Menschheitsgeschichte – man denke an die stilisierte Urhütte des römischen Architekturtheoretikers Vitruv –, war es lange Zeit das ultimative Allzweckmaterial für Behausungen, Fortbewegungsmittel, Möbel oder sogar Geschirr. Sicherlich, Eisen oder Bronze haben mit ihrem Namen eigene Epochen geprägt. Aber Holz? Stand als Arbeitstier niemals in der ersten Reihe. Rundum verlässlich, oft gediegen und manchmal sogar innovativ – man denke beispielsweise an die Schichtholzexperimente des Mid-Century-Stils –, aber eben selten en vogue.

Alle Hoffnung auf Holz

Seit ein paar Jahren hat sich dies radikal geändert. Nachvollziehen lässt sich das nicht nur in den Bildstrecken der Architektur- und Einrichtungsmagazine, sondern auch daran, dass die Politik das Thema für sich entdeckt hat. Wer fortschrittlich sein will, schmückt sich mit Holz, und ein entscheidender Aspekt ist dabei natürlich der Klimawandel. Gerade die Baubranche gehört schließlich zu den Haupt­verursachern von Treibhausgasen. Und da könnte es helfen, dass Holz als einziges in großen Mengen genutztes Baumaterial schon bei der Herstellung – also im Wald – CO2 bindet. Und dieses CO2 bleibt gebunden, solange ein Gebäude steht, wie ein zweiter Wald aus Häusern. Nicht zuletzt aus diesem Grund fordert auch der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber mit der von ihm mitbegründeten Initiative „Bauhaus der Erde“ eine Architekturbewegung, die auf Holzbau setzt.

PIONIERARBEIT AM BAUGESETZ

Als Baumaterial war Holz natürlich immer in Gebrauch. Die halbe amerikanische Vorstadt besteht schließlich aus Häusern in einfacher Rahmenbauweise. Und auch bei uns findet sich noch so manches gemütliche Holzfertighaus aus den Siebzigern. Aber im urbanen Kontext hatte Holz lange Zeit einen schweren Stand, was auch an dem einen oder anderen mittelalterlichen Großbrand gelegen haben dürfte. Zu Unrecht allerdings, wie vor rund zwanzig Jahren einige Holzbaupioniere betonten, die mit ihren Experimentalbauten schließlich sogar einen Richtungswechsel der Baugesetzgebung erwirken konnten. Denn eigentlich handelt es sich bei Holz um ein gerade auch in Brandschutzfragen äußerst gut zu kalkulierendes Material.

Insbesondere kompakte Bauteile aus Brettsperrholz, meist im Werk vorfabriziert zu dicken Platten, verkohlen lediglich an der Oberfläche und sind dann gut geschützt. Und in statischer Hinsicht sind Holzkonstruktionen ohnehin über jeden Zweifel erhaben, wie Fachwerkhäuser in jeder deutschen Altstadt zeigen. Heute sind mehrgeschossige Wohnbauten auch in den Bauordnungen längst Standard und oft geht es inzwischen sogar deutlich höher hinaus. In Schweden entstand beispielsweise vor zwei Jahren ein Hochhaus mit achtzehn Geschossen, das weitgehend aus Holz besteht. Und bei solchen Ausnahmebeispielen ist der Clou oftmals nicht nur die Klimafreundlichkeit des Materials. Dank zahlreicher Innovationen, insbesondere hinsichtlich seiner Verarbeitung, ist Holz nämlich meist auch eine gute Wahl, wenn es schnell, leise und sauber gehen muss. Denn wo früher vielleicht noch Zimmerleute Hand anlegen mussten, leisten heute oft computergesteuerte Fräsen im Fertigteilwerk einen Großteil der Arbeit.

Jenseits von Nut und Feder

Dass insbesondere Skandinavien eine Pionierrolle im Holzbau spielt, dürfte angesichts ausgedehnter Waldregionen niemanden überraschen. Mit Blick auf den Imagewechsel des Materials erweist sich dies aber gerade in ästhetischer Hinsicht als Vorteil. Der gemütlich-piefige Nut-und-Feder-Charme deutscher ­Hobbykeller oder der Chalet-Stil der Alpenländer hätte sich jedenfalls nicht zum Vorbild geeignet. Skandinavische Innenarchitekt*innen und Designer*innen zeigen hingegen, wie auch in Innenräumen der Werkstoff Holz Modernität und Stil transportiert und die bürgerliche Hygge-Gemütlichkeit hinter sich lässt.

Die Wechselwirkungen zwischen Architektur und Möbelbau sind aber nicht nur in ästhetischer Hinsicht interessant. Entscheidend sind sie auch und vor allem mit Blick auf Verarbeitung und Konstruktion. Scheint nicht sogar der Möbelbau manchmal die Architektur anzutreiben, wenn man beispielsweise den experimentellen Leichtbaupavillon für die Bundesgartenschau in Heilbronn von Achim Menges und Jan Knippers betrachtet? Dieser zeichnet sich nicht nur durch eine besonders hohe Materialeffizienz aus, seine Plattenhaut wirkt auch ein wenig, als seien hier Stuhlteile verarbeitet worden. Umgekehrt profitiert aber auch das Design, denn wo Holzmöbel in der Vergangenheit optisch oft noch eher schwer daherkamen, sind dank leistungsfähiger Plattenstoffe sowie Biege- und Fügetechniken inzwischen erstaunlich leichtfüßige Objekte möglich. Bereits in den 1990er-Jahren entwickelten Designer wie Axel Kufus Möbeltypen – etwa das Regalsystem FNP – die mit minimalistischem Materialeinsatz und der Nutzung von Sperrholzplatten eine eigene konstruktive Ästhetik ausdrücken.

Raubbau für die Spanplatte

Jede Mode hat aber ihre Kehrseiten, und da lohnt wieder der Blick auf die Möbelbranche. Holzbasierte Werkstoffe dominieren nämlich auch dann, wenn nicht die hölzerne Oberfläche gefragt ist. Plattenmaterialien auf Holzbasis haben nicht nur eine Reihe vorteilhafter Eigenschaften für die Konstruktion, sondern sind oft günstiger als massives Holz. Man denke nur an die allgegenwärtige Spanplatte, die nicht nur in zahllosen Küchen zum Einsatz kommt, sondern auch unter so manchem kuscheligen Sofa zu finden ist.

Damit einhergehend verändern sich auch die Nutzungsmuster. Waren Sofas bei unseren Großeltern möglicherweise noch ein ganzes Leben im Einsatz, kann man angesichts von Preis und Haltbarkeit heute längst von Fast Furniture sprechen, analog zur Billigmode, die nach kurzer Zeit schon in die Tonne wandert. Und spätestens dort werden dicke Lackschichten, PVC-Beschichtungen und natürlich der Leim, der die Holzspäne zusammenhält, zu einem Problem, das meist in der Müllverbrennungsanlage endet – mit allen Nachteilen fürs Klima. Hinzu kommt, dass mit den stark beschleunigten Kaufzyklen auch der Holzbedarf derart gestiegen ist, dass immer wieder auch illegaler Raubbau an geschützten Wäldern auffliegt.

Den Baum im Wald lassen

In der Architektur ist illegale Abholzung zwar weniger ein Problem, weil hier schon aus Gründen der Statik eine lückenlose Qualitätskontrolle gefordert ist. Aber auch hier sorgen die Übernutzung bestimmter Sorten oder eine Ausbreitung von Holzmonokulturen für ökologische Probleme. Eine nachhaltige Holzwirtschaft, wie sie das FSC-Siegel verspricht, kann dann zwar helfen, Klimaziele zu erreichen und Konflikte mit anderen ökologischen Vorgaben– etwa Artenvielfalt oder Wasserhaltung – zu vermeiden. Aber für Torsten Welle von der Naturwald Akademie, die sich unter anderem mit ökologischem Waldbau beschäftigt, bleibt es bei einer einfachen Wahrheit: Der bestehende Wald ist der beste Speicher für Kohlendioxid.

Vermeidung kommt also immer vor Verbrauch, Bestand immer vor Ersatz, und falls doch etwas Neues aus Holz gebaut oder gekauft wird, sollte es so lange wie nur möglich genutzt werden – ein Plädoyer also für ebenso hochwertige wie schöne, für anpassbare und flexible Lösungen, deren Gebrauch uns auch nach langer Zeit noch begeistert. Wichtig ist außerdem, dass es das eine, ideale Material ohnehin nicht geben kann. Der gute alte Stahl beispielsweise hat nicht zuletzt aufgrund seiner Recyclingfähigkeit für viele Anwendungen durchaus auch seine Vorteile.

EIN MATERIAL NEU ERFINDEN

Bei allen Herausforderungen, einen zentralen Aspekt des aktuellen Holzbooms dürfen wir nicht vergessen: Dass er eben nicht das Ergebnis einer oberflächlichen Mode ist, sondern angetrieben von einer genuinen Suche vieler schlauer Menschen nach zukunftsfähigen Lösungen. Das beinhaltet auch das Bemühen um eine neue konstruktive Ehrlichkeit in der Architektur, wie sie der Holzbau möglich macht, ohne Dämmung und Verschalung, dafür maximal kreislauffähig.

Dazu gehören aber auch neue Plattenwerkstoffe der Holzindustrie, deren Herstellung allein mit natürlichen Harzen auskommt. Und schließlich Start-ups wie beispielsweise Triqbriq aus Stuttgart, die mithilfe von Industrierobotern aus minderwertigem Kalamitätsholz – Ergebnis von Schädlingsbefall, Stürmen oder Trockenheit – Massivholzbausteine herstellen, mit denen sich in Zukunft mehrgeschossig „mauern“ lassen könnte.

Kurz: Wir erleben das nächste Kapitel eines jahrtausendealten Werkstoffs, dessen Gebrauch gerade mit viel Kreativität und einem klaren Ziel vor Augen um faszinierende Möglichkeiten erweitert wird.

Bilder: Holzschnitt: Unsplash @theforestbirds; ICD/ITKE; Voll Arkitekter AS; Kai Nakamura; TRIQBRIQ AG; Fotografen Martin­-Diepold

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